Der Mythos um den Wehrmachtsgeneral Erwin Rommel ist schon seit längerem in die Jahre gekommen. Dennoch gilt Rommel manchen bis heute als Musterbeispiel eines „aufrechten“ und „ritterlichen“ Soldaten. Als angeblicher Widerstandskämpfer sei er zum Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft geworden. Im ostwürttembergischen Hei-denheim, aber auch in Laichingen bei Ulm sind ihm weiterhin Denkmäler gewidmet, die diese Sichtweise pflegen.
Daniel Sternal untersucht in seiner 2016 vorgelegten Tübinger Bachelorarbeit die neueste Kontroverse um den „Wüstenfuchs“. Er zeigt auf, vor welchem Hintergrund der Dissens entstand und welche Vorwürfe gegen Rommel sowie seine heutigen Verteidiger gerichtet werden. Er analysiert, wieso Erwin Rommel als vielleicht letzter seiner Zunft einen vergleichsweise guten Ruf genießt, wo nach der Kontroverse die aktuellen Konfliktlinien verlaufen und welchen Fragen sich eine zukünftige Rommelforschung stellen könnte.
„Eine im besten Sinne abwägende und damit ausgewogene Analyse des
Erinnerungskonfliktes um Erwin Rommel, die die aktuellen Tendenzen der Forschung widerspiegelt."
(Prof. Dr. Reinhold Weber, Universität Tübingen)
Daniel Sternal, geboren 1992 in Braunschweig, studierte Geschichte und Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen im Bachelorstudium. Im Oktober 2016 erfolgte der Wechsel an die Freie Universität Berlin für den Masterstudiengang Geschichtswissenschaft. Neben Themen der Zeitgeschichte gilt sein Interessenschwerpunkt vor allem der Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs. Eine weitere Publikation zur Täterforschung ist in Arbeit.
Prof. Dr. Wolfram Wette:
Schon der Schriftsteller und Publizist Ralph Giordano wusste: „An Rommel scheiden sich die Geister. Sein Bleiben oder sein Verschwinden als Kasernenpatron der Bundeswehr wird zeigen, wie ernst es ihr mit der Korrektur der Traditionspraxis ist. Rommel ist der Testfall.“ (Traditionslüge, S. 338) Geschrieben wurde dieses Diktum im Jahre 2000. Bis heute hat der Testfall einen Sieg für die Verehrer des „Wüstenfuchses“ ergeben: Es gibt nach wie vor Rommel-Kasernen, Rommel-Straßen, Rommel-Denkmäler.
In der nunmehr neu aufgeflammten Debatte über Tradition in der Bundeswehr kommt die Fallstudie von Daniel Sternal über diesen wahrscheinlich prominentesten Wehrmachtgeneral gerade recht. Bei dem Autor handelt es sich um einen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 25-jährigen Geschichtsstudenten der Universität Tübingen, der seinem Stoff wohltuend distanziert gegenüber steht. Er sichtet die Fakten und die unterschiedlichen Argumente, um sich dann eine Meinung zu bilden. Die am Thema interessierten Leser sind zu Gleichem aufgefordert. Der gewichtigste Teil der Untersuchung gehört den geschichtspolitischen Auseinandersetzungen über Rommel. Sie führen unmittelbar zu der seit Jahrzehnten umstrittenen Frage: Ist ein Wehrmachtgeneral wie Rommel traditionstauglich? Was ja bedeutet: Kann er ein Vorbild für Soldaten der Bundeswehr sein oder nicht?
Der Mythos des Kriegshelden Rommel geht auf den Nazi-Propagandaminister Goebbels zurück. Er zeichnete ihn als einen treuen, ja begeisterten Anhänger Hitlers, als einen unerschrockenen Haudegen, listigen Strategen und „idealen Soldaten“. Über das geplante Attentat war er wahrscheinlich informiert, aber er konnte niemals definitiv für die Sache des Widerstandes gewonnen werden. Nach dem Kriege wurde der Mythos Rommel von ehemaligen Wehrmachtgenerälen neu konstruiert. Sie propagierten nunmehr das Bild von einer „sauber“ gebliebenen Wehrmacht und Rommel als deren Symbolfigur. Damit befriedigten sie die Legitimationsbedürfnisse von Millionen ehemaliger Frontsoldaten. An der Gestaltung dieser Legende beteiligten sich auch nicht-deutsche Militärhistoriker.
Je tiefer dann seit den ausgehenden 1960er Jahren die historische Forschung in die Geschichte der Wehrmacht eindrang, desto deutlicher wurde, dass sie nicht nur völkerrechtswidrige Kriege geführt hatte, sondern auch an vielen Verbrechen beteiligt war, eingeschlossen den Mord an den europäischen Juden. Rommel, der ein wichtiges Rad in den Kriegen Nazi-Deutschlands war, musste in diesen Kontext eingeordnet werden. Das bedeutete, dass auch er nunmehr als herausgehobener Akteur eines verbrecherischen Krieges betrachtet wurde. Zwischen diesen beiden Polen bewegten sich die divergierenden Deutungen dieses Panzergenerals in den letzten Jahrzehnten. Sternal zeichnet sie im Einzelnen nach.
Besonders interessiert sich der junge Autor für das pompöse Rommel-Denkmal in der ostwürttembergischen Stadt Heidenheim, das im Jahre 1961 vom „Verband Deutsches Afrika-Korps“, einer Organisation ehemaliger Wehrmachtsoldaten, errichtet wurde. Als Schirmherr fungierte seinerzeit der baden-württembergische Innenminister Hans Karl Filbinger (CDU). Mit dem Heidenheimer Denkmal machten die „alten Kameraden“ den „Wüstenfuchs“ einmal mehr zum Kriegshelden. Gleichzeitig wollten sich die ehemaligen Soldaten, die im fernen Afrika „das deutsche Vaterland verteidigt“ hatten, wohl auch selbst ehren. Historiker sehen in diesem Monument ein typisches Konstrukt der 1950er Jahre, das eine unkritische Geschichtsbetrachtung mit Unbußfertigkeit und Schuldabwehr verbindet. Weitgehend unbeachtet blieb damals die Tatsache, dass das größte Verbrechen Hitler-Deutschlands und der Wehrmacht darin bestand, die europäischen Nachbarländer und selbst Nordafrika mit Angriffskriegen überzogen und den Menschen dieser Länder schwerste Schäden zugefügt zu haben. Auch den Völkermord an den europäischen Juden hat Rommel, so der Historiker Peter Steinbach, zumindest „hingenommen“. Nach alledem kann man gespannt sein, wie sich die nachgewachsenen Generationen, die sich nun durch das sachkundige Buch von Sternal über die langjährigen Rommel-Kontroversen informieren können, in dieser Sache positionieren werden.
60 Seiten
ISBN 978-3-945893-07-4
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